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Der Begriff Kanonistik in der katholischen Theologie

Neuere Reflexionen über die Kanonistik gibt es innerhalb der Theologie nicht. Darum soll nach einer Definition des Begriffs Kanonistik über einige der in ihr angewandten Methoden reflektiert werden, um schließlich zu erheben, wer Kanonist ist. Vgl. insgesamt E. M. Morein, Officium 1-42.

 

Definition der Kanonistik

Kanonistik ist eine geisteswissenschaftliche, konkret theologische Disziplin. Auf wissen­schaft­licher Ebene setzt sich der Kanonist mit der Gesetzgebung und mit dem in ihr ausgedrückten Wesen und Selbstverständnis der Katholischen Kirche auseinander. Er bezieht hierbei wichtige Erkenntnisse ein, die in anderen theologischen Disziplinen gewonnen werden, und verwendet bei seiner Reflexion verschiedene Methoden mit ihren jeweiligen Kriterien.

Innerhalb der Kanonistik wird von manchen Kanonisten bewusst, von den meisten jedoch unbewusst und unthematisiert die Meinung vertreten, der Kanonist müsse im Dienste der theologischen Dogmatik arbeiten, so dass theologisch-dogmatische Gedanken, etwa ekklesiologischer Art, dem kanonistischen Denken als Denkvoraussetzung zugrunde gelegt werden.

Wer so denkt und arbeitet, denkt und arbeitet im Letzten eklektisch und wird sich fragen lassen müssen, ob er nicht zur Untermauerung seiner eigenen nichtkanonistisch-theologischen Vorlieben tätig ist, zumal es verschiedene Ekklesiologien gibt, aus denen auszuwählen, so lange beliebig ist, solange von der zuständigen Autorität eine Ekklesiologie nicht verbindlich vorgeschrieben wird.

Von einem anderen, nämlich geschichtlichen Blickwinkel aus formuliert muss darauf hingewiesen werden, dass sich die Exegeten und Religionspädagogen ihre Selbständigkeit innerhalb der theologischen Disziplinen erarbeiten mussten. Die Kanonisten werden in diesem Punkt noch viel Überzeugungsarbeit bei den theologischen Dogmatikern zu leisten haben, die der Kanonistik diese Selbständigkeit innerhalb der Theologie nicht zuerkennen wollen.

 

Für die Kanonistik relevante Methoden

Die Bezeichnung juristische Methode dient als Sammelbezeichnung für viele in der Rechtswissenschaft angewandte Methoden. Am bekanntesten dürften die in can. 17 ausgedrückten Prinzipien sein, ein Gesetz erstens gemäß der im Text und im Kontext wohl erwogenen eigenen Wortbedeutung zu verstehen, worauf die rechtssprachliche Methode beruht. Wenn ein Gesetz zweifelhaft und dunkel bleibt, ist zweitens auf Parallelstellen zurückzugreifen, drittens Zweck und Umstände des Gesetzes zu ermitteln, und viertens die Absicht des Gesetzgebers zu erkunden.

Neben diesen vier juristischen Methoden ist auch jene fünfte zu nennen, die Kohärenzmethode genannt werden könnte. In ihr geht es kriteriologisch darum, die zu einem Rechtsinstitut entwickelte Rechtsdogmatik zu erheben, also einen Tatbestand mit seinen jeweiligen Merkmalen, und diese systematisch-logisch immer wieder und damit vollständig anzuwenden.

Als sechste juristische Methode ist die rechtsgeschichtliche (historische) Auslegung zu erwähnen, in der die Entwicklung des zu untersuchenden Gegenstandes durch die Jahrhunderte hindurch nachvollzogen wird.

Die rechtssprachliche Methode fußt auf der Annahme, dass die Wortwahl im Gesetzestext bewusst getroffen ist. So erhalten insbesondere Substantive und Verben eine signifikante Bedeutung, die in engem Zusammenhang mit der Rechtsdogmatik stehen, die mit einem Rechtsinstitut verbunden ist. Als Beispiel kann auf die ämter- und stellenrechtlichen Kriterien der rechtssprachlichen Methode verwiesen werden, nach denen beispielsweise nie ein Amt, sondern immer nur eine Stelle verliehen oder verloren wird, oder nach der nie eine Stelle, sondern immer nur ein Amt errichtet oder geleitet wird.

Leider sind die von K. Mörsdorf zur Rechtssprache vorgelegten Arbeiten auch nachkonziliar nicht angewandt oder gar vertieft worden. Die heutige Kanonistik hat in diesem Punkt ein Desiderat.

Während diese juristischen Methoden mit dem Gesetzestext zusammenhängen, werden die weiter folgenden Methoden der Kanonistik in jedweder geisteswissenschaftlichen Disziplin angewandt. Es wäre um der Wissenschaftlichkeit willen wünschenswert, wenn ein fakultätenübergreifender Dialog über diese beiden Methoden stattfinden würde. Während dieses Dialogs könnten die Kriterien dieser beiden Methoden vervollständigt werden.

In der sprachkritischen Methode wird davon ausgegangen, dass auch der Kanonist um Verständlichkeit seiner Aussagen bemüht ist. Diese Verständlichkeit und korrekte Ausdrucksweise kann kriteriologisch überprüft werden, indem gefragt wird, ob Begriffe ein- oder mehrdeutig verwendet sind; ob an alle notwendigen Sinnergänzungen gedacht ist, so dass ein Sachverhalt präzise beschrieben ist; ob explizit erwähnte Sachverhalte auf ihre möglichen Konsequenzen hin durchdacht sind; und ob die handelnden Subjekte in einem Gesetzestext erfasst und richtig benannt sind, so dass der Mensch als handelndes Subjekt ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wird oder Sachverhalte exakter formuliert werden.

Mit der logischen Methode wird die Nachvollziehbarkeit von Aussagen überprüft. Dazu müssen sie erstens widerspruchsfrei und zweitens rational verantwortbar sein, so dass auch die unausgesprochenen Konsequenzen aus einem beschriebenen Sachverhalt bedacht sind. Drittens müssen Aussagen einleuchtend sein, z. B. durch Erklärungen oder Begründungen, was etwa in can. 767 § 1 nicht der Fall ist, so dass immer „das Kirchenrecht“ beschuldigt wird, wenn es um die Frage geht, warum etwa Gemeindereferenten nicht predigen dürfen. Dabei ist dieser Text doch wohl vor dem Hintergrund theologisch-dogmatischer Aussagen getroffen, so dass Dogmatiker begründen müssen, warum Laien keine Homilie halten können. Viertens ist bei der Darlegung von Sachverhalten auch im Gesetzestext zwischen der bewusst oder unbewusst getroffenen Denkvoraussetzung zu unterscheiden, mit der der konzeptionelle Ausgangspunkt zusammenhängt, von dem her etwas entworfen wird.

Innerhalb der Ekklesiologie etwa lässt sich diese Unterscheidung darstellen, denn es ist ein Unterschied, ob die Kirche wie in der sog. Amtstheologie mit dem Sakrament Weihe (ordo) steht oder fällt, so dass sie von der sakramentalen Weihe aus zu entwerfen ist. In diesem Fall haben die Teilnehmer der Würzburger Synode Recht, wenn sie schreiben, dass Laien „am amtlichen Auftrag der Kirche teilhaben“, d. h., in der Sprache der Synodalen, an dem Auftrag, der durch den ordo übertragen oder weitergegeben wird. – Die Katholische Kirche könnte hingegen wie in der Volk-Gottes-Ekklesiologie aber auch von der Taufe aus konzipiert sein, wovon der Gesetzgeber in can. 204 ausgeht. Dass die Taufe auch von Nichtklerikern gespendet werden kann, ist bekannt und setzt somit die sa­kramentale Weihe nicht voraus.

In der innerhalb der theologischen Dogmatik entwickelten Amtstheologie ist die Annahme, dass die Kirche auf dem ordo aufruht, die bewusste oder unbewusste Denkvoraussetzung. Dass die sa­kramentale Weihe zugleich allem in der Kirche vorgeordnet und dass alles von ihr somit abgleitet ist, ist der konzeptionelle Ausgangspunkt. Anders sieht dies innerhalb der ebenfalls in der theologischen Dogmatik entwickelten Volk-Gottes-Ekklesiologie aus, in der die missio Ecclesiae, an der alle Christen teilhaben, die Denkvoraussetzung und das Mitglied-Sein in der Katholischen Kirche der konzeptionelle Ausgangspunkt ist. – Wie Laien als Gegenentwurf zur synodalen Konzeption innerhalb der Kirche beruflich oder ehrenamtlich als Amtsträger tätig sein können, ist in meiner Dissertation erarbeitet und auf S. 342 schematisch dargestellt worden.

Eine weitere geisteswissenschaftliche Methode, die auch in der Theologie angewendet wird, ist der interdisziplinäre Dialog, in dem Erkenntnisse aus einer wissenschaftlichen Disziplin zu einem bestimmten Thema erhoben und dargestellt werden, um vor deren Hintergrund das eigene theologische Thema zu reflektieren. So hat es etwa R. Reck in seiner Dissertation Kommunikation und Gemeindeaufbau 1991 getan, der zunächst dargestellt hatte, was unter Kommunikation unter heutigem wissenschaftlichen Standpunkt zu verstehen ist, um vor dieser Hintergrundfolie darüber zu reflektieren, wie die Kommunikation zwischen Paulus und den Gemeinden stattgefunden hat.

Diese komparative Methode ist sehr hilfreich und wissenschaftlich deswegen erlaubt, weil gerade die freie Methodenwahl Wesensmerkmal des Wissenschaftbegriffs ist, so dass die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse im Letzten methodologisch, d. h. durch die Wahl der Bezugswissenschaft und durch den in ihr gewählten Reflexionsgegenstand bedingt sind.

Wenn hingegen z. B. eine bestimmte Wissenschaft als Vergleichsgröße zu dem theologischen Diskussionsthema abgelehnt wird, kommt dadurch zum Ausdruck, dass man das (vor­ausgesetztermaßen methodologisch sauber) erzielte Ergebnis ablehnt und Wissenschaft nur als interessengeleitete Arbeit begreift, für die nur erlaubt scheint, was diesem Interesse dient. Mit anderen Worten kann es aus wissenschaftlichen Gründen nie den Einwand geben, dass irgendeine Bezugswissenschaft nicht herangezogen werden kann.

 

Der Kanonist

Zu Beginn ist darauf hingewiesen worden, dass sich der Kanonist auf wissenschaftlicher Ebene mit der Gesetzgebung auseinander setzt. Der Gesetzgeber selbst ist aber ebenfalls kanonistisch tätig, indem er Gesetze verfasst. Aus diesem Grunde ist Kanonistik nicht nur eine wissenschaftliche Disziplin, in der die Gesetzgebung methodologisch reflektiert wird. Vielmehr ist sie auch angewandte Gesetzgebung, unter Verwendung derselben Methoden. Sollte nachgewiesen werden, dass der Gesetzgeber diese Methoden in einem konkreten Fall nicht angewandt hat, ist im Interesse einer klaren Gesetzgebung zu erwarten, dass er die dann zu Recht kritisierten Gesetze neu fasst.

Unter dem Begriff Kanonist sind demnach sowohl der in der Wissenschaft Tätige zu verstehen als auch der Gesetzgeber selbst. Es wäre wünschenswert, wenn zwischen diesen beiden ein reger Dialog bestünde.